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Weitwandern – mehr als nur gehen

Weitwandern –         mehr als nur gehen
© Peter Maier

Die Motive für Weitwandern sind vielfältig. Neben der Sehnsucht nach einem intensiven Naturerlebnis und dem Wunsch, Landschaften zu erwandern, die nicht jedem auf dem “Silbertablett” präsentiert werden, spielt für viele auch der körperliche Aspekt eine wichtige Rolle. Den meisten Wanderern, die sich auf eine mehrtägige Tour begeben, ist nicht bewusst, welche tiefgreifenden Auswirkungen das tagelange Gehen in der Natur hat und welche Einsichten man über sich selbst gewinnen kann. Das kontinuierliche Wandern fördert die körperliche Fitness und Ausdauer, und wirkt sich auch positiv auf die mentale Gesundheit aus. Es bietet Gelegenheit, sich von den alltäglichen Sorgen und Stress zu lösen, Klarheit zu gewinnen und neue Perspektiven zu entwickeln.

HochTirolTrail - Blick auf das Umbalkees
HochTirolTrail – Blick auf das Umbalkees

Weitwandern schafft Klarheit

Anders als bei einem “normalen” Wanderurlaub, wo man jeden Abend in die gleiche Unterkunft zurückkehrt und ein gewohntes Setting vorfindet, ist bei einer Weitwanderung mehr Raum für Unbekanntes, Unerwartetes, aber auch Schönes. Weitwandern befreit und beflügelt, nicht zuletzt deshalb, weil man auf vieles gewohnte verzichtet und die alltäglichen Umgebungsgeräusche zurücklassen darf.

Klarheit im Rucksack schafft auch Klarheit im Kopf. Ich konzentriere mich auf das Wesentliche, packe nur das Nötigste ein. Symbolisch gesehen lasse ich viel Ballast zu Hause, materiell wie auch geistig. Allein dadurch, dass ich mein Zuhause und den Alltag für eine Weile hinter mir lasse, gewinne ich eine neue Perspektive. Weitwandern bringt uns aus dem kontrollieren Denken und fördert eine tiefere Aufmerksamkeit.

HochTirolTrail - Umbaltal
HochTirolTrail – Blick aufs Umbalkees

Der Weitwander-Effekt

Der Weitwander-Effekt beschreibt sehr gut den Prozess, den man schon bei einer 3-tägigen Mehrtagestour beobachten kann. Es gibt drei Phasen, die sehr gut aufzeigen, wie das Gehen die Gedanken klarer macht, die Sinne schärfer und man Schritt für Schritt in den Dialog mit sich selbst und der Natur tritt.

Der erste Tag symbolisiert den Aufbruch – den Versuch, den gewohnten Alltag hinter sich zu lassen, was oft nicht leicht fällt. Der Kopf arbeitet auf Hochtouren, die Gedanken schwirren unaufhörlich umher und springen wie in einer Endlosschleife von einem Thema zum nächsten. Zweifel kommen auf: Hat man an alles gedacht? Wird das Wetter halten? Ist man körperlich fit genug? Dieses ständige Grundrauschen, das uns im Alltag begleitet, ist zumindest zu Beginn der Weitwanderung ebenfalls mit im Gepäck.

Auf den ersten Kilometern wärmt sich der Körper langsam auf. Kleine Wehwehchen machen sich bemerkbar, der Rucksack sitzt vielleicht noch nicht perfekt – oder du trägst auch eine Jacke zu viel. Doch dann kommt der Wohlfühlmoment. Der Puls hat sich eingependelt, man hat sich an das Gewicht des Rucksacks gewöhnt, und der Körper hat sich auf das Gehen eingestellt.

Am zweiten Tag erfolgt der Loslösungsprozess. Das Gedankenkarussell verlangsamt sich mit jedem Schritt, und nach und nach breiten sich Stille und Ruhe aus. Beim gleichmäßigen Wandern fährt das eigene System langsam herunter, da der Körper seine Energie für das Gehen benötigt. Die Aufmerksamkeit verlagert sich zunehmend auf den Weg – die ersten Schritte zum Hier und jetzt sind gesetzt.

Tag drei symbolisiert eine Neuorientierung. Das Wandern hilft Körper und Geist, sich zu synchronisieren und in Einklang zu bringen, was eine spürbare Leichtigkeit mit sich bringt. Die Wahrnehmung wird schärfer und intensiver und verlagert sich von außen ins Innere. Es geht nicht mehr nur darum, was man erlebt, sondern darum, wie man es erlebt und was in einem selbst vorgeht.

HochTirolTrail
Am HochTirolTrail an kleinen Bächlein vorbei

Je länger, desto besser

Eine 3-tägige Weitwander-Auszeit ist das Minimum, das man braucht, um diesen Prozess zu starten. Wenn man den Luxus hat, sich mehr Zeit nehmen zu können, sollte man dies auch auf jeden Fall tun. Wenn wir mehrere Tage in der freien Natur zu Fuß unterwegs sind, lernen wir Demut. Je länger wir wandern, desto intensiver nehmen wir uns selbst und unsere Umgebung wahr, bis wir schließlich ganz im Hier und Jetzt bei uns selbst ankommen. Eine mehrtägige Wanderreise alleine in der Natur bringt uns auf unvergleichliche Weise zu uns selbst zurück.

Alleine unterwegs bringt “Freisamkeit”

Diese intensive Wahrnehmung der Landschaft und von uns selbst ist umso wertvoller, wenn man die Möglichkeit hat, sich ganz auf sich selbst fokussieren zu können. Mehrere Tage alleine mit sich in der Natur unterwegs sein zu dürfen ist eine bereichernde und tiefgehende Erfahrung. Man bekommt die Freiheit, nur auf sich und seinen Körper zu hören, den eigenen Rhythmus zu finden und eine tiefe Verbindung zur Natur aufzubauen.

Diese Entscheidung sollte allerdings gut durchdacht sein, solange man beim Weitwandern noch nicht viel Erfahrung gesammelt hat oder sich in der Orientierung noch etwas schwertut, sollte man nicht alleine unterwegs sein und sich stattdessen einen guten Wanderpartner suchen, mit dem man harmoniert und diese intensive Zeit teilen möchte.

Was uns ein Weitwanderweg lehrt

Entschleunigen: Eine Weitwanderung ist sinngemäß mehr ein Marathon als ein Sprint und der Aufenthalt in der Natur bietet eine wertvolle Gelegenheit zur Entschleunigung und zur Verbindung mit der Umgebung und sich selbst. In einer Welt, die ständig in Bewegung ist und von Hektik geprägt wird, bieten Weitwanderungen die Möglichkeit, einen Schritt zurück in ein einfacheres, ruhigeres Leben zu machen. Dabei geht es nicht darum, schnell ein Ziel zu erreichen, sondern jeden Schritt bewusst zu erleben. Der Weg ist das Ziel. Das langsame Gehen eröffnet neue Perspektiven und ermöglicht es uns, die Umgebung intensiver wahrzunehmen.

Loslassen und Annehmen: Eine mehrtägige Wanderung lässt sich nie vollständig planen. Es bleibt immer Raum für das Unvorhersehbare – sei es das Wetter, Zeitverlust aufgrund von Unaufmerksamkeit oder unerwartete Herausforderungen. Diese Ungewissheiten lehren uns, loszulassen und das anzunehmen, was der Weg uns bietet. Es ist eine Übung in Geduld und Flexibilität, die im Alltag oft verloren geht.

Natürliche Stille: Das schönste, das wir unterwegs in der Natur am Weitwanderweg finden können, ist natürliche Stille und wenn es uns gelingt, die Stille in uns anzunehmen, dann stören auch die Geräusche in der Natur nicht, wie ein laut tosender Bach, der Wind in den Bäumen oder ein ambitionierter Kuckuck.

Demut: Weitwandern ist eine tiefgreifende Erfahrung, die uns Demut lehrt. Es konfrontiert uns mit der majestätischen Natur, unseren eigenen Grenzen und der Einfachheit des Lebens. Diese Erlebnisse fördern Dankbarkeit, Achtsamkeit und eine tiefere spirituelle Verbindung. In der Stille und Schönheit der Natur finden wir eine Haltung der Demut, die unser Leben bereichert und uns in Einklang mit der Welt bringt.

Körperlichkeit: Zu Fuß lange Distanzen zurückzulegen ist eine zutiefst physische Erfahrung. Den eigenen Rhythmus finden, richtig atmen, Hunger und Durst spüren – man nimmt seinen Körper bewusst wahr und überwindet dabei sowohl körperliche als auch mentale Grenzen, die im Alltag selten erreicht werden. Es erfordert oft Überwindung, die gewohnte Komfortzone zu verlassen, aber genau daran wächst man.

HochTirolTrail - Umbaltal
HochTirolTrail – Umbaltal

Weitwandern bring dich näher zu dir selbst

Naturnahe, “grüne” Wege mit viel Wasser und weiten Ausblicken gelten laut Studien als die idealen Wanderwege. Doch abseits dieser landschaftlichen Merkmale sind es vor allem die “stillen” Weitwanderwege, auf denen du dir auch den “Luxus der Langsamkeit” gönnen kannst. Dich hinzusetzen und einfach nur die Landschaft mit allen Sinnen aufzunehmen.

Imposante Felsformationen, blühende Almwiesen und abendliche Lichtspiele, die die schroffen Felswände in ein warmes, goldenes Licht tauchen, schaffen eindrucksvolle Szenerien, die Wanderern Demut vor der Größe und Bedeutung der Natur lehren. Diese majestätischen Landschaften eröffnen nicht nur spektakuläre Ausblicke, sondern regen auch zur Selbstreflexion an, indem sie uns unsere eigene Kleinheit und die tiefe Verbundenheit mit der natürlichen Welt vor Augen führen.

Zeit für Funkstille

Bei einer mehrtägigen Wanderreise ist das Smartphone idealerweise dabei, aber offline und sicher im Rucksack verstaut, nur für den Notfall griffbereit. Es sollte kein ständiger Begleiter sein. Smartphones lenken uns zu sehr vom hier und jetzt ab und rauben uns die Möglichkeit, vollständig in die Umgebung einzutauchen. Stattdessen bietet eine mehrtägige Wanderung die perfekte Gelegenheit, die Schönheit der analogen Welt zu genießen. Diese Momente der Entschleunigung und Achtsamkeit sind wertvolle Geschenke, die nur die analoge Welt bieten kann.

HochTirolTrail
Weitwandern – wohltuend für Herz und Seele
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3 Kommentare
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Katja
Katja
21. Juni 2024 15:46

Es ist so wahr….mit den Beinen fest am Boden, das erdet! Es gibt Energie+Kraft. Die Natur gibt uns alles und die imposanten Berge zeigen einen auch wie „klein“ der Mensch ist und gegen die Natur machtlos…

Rüdi
Rüdi
30. Mai 2024 10:34

Ich muss zugeben, ich höre den Begriff „Weitwandern“ gerade das erste Mal.

Ich selbst habe häufig Tagestouren gemacht und dabei schon viele tolle Ziele erwandert. Meine Lebensgefährtin hat mir aber auch diese intensiven Erlebnisse geschildert, wie ihr es hier beschreibt. Dieses Gefühl, die einsetzt und man sich nur noch auf die Schritte konzentrieren kann.

Aber umso schöner, wenn man dann nach weiter Strecke erfolgreich war. Das stelle ich mir wirklich sehr belohnend vor.

Vielleicht muss ich das auch mal ausprobieren..

Osttirol Redaktion
Osttirol Redaktion
Admin
Antwort an  Rüdi
3. Juni 2024 8:41

Hallo Rüdi, danke für deine Gedanken hierzu!
Hier findest du Inspiration für deine erste (bewusste) Weitwanderung in Osttirol! ⛰️🥾
Liebe Grüße, dein Osttirol-Team!