Dieser eine Kreisverkehr ist der alles Entscheidende. Der Kreisverkehr in Mittersill, der nur eine mögliche Ausfahrt zulässt. Für mein Gefühl. Nicht Richtung Salzburg, da komme ich meist her, aus dieser großen kleinen Stadt. Nicht hoch Richtung Kitzbichl, wo um diese Zeit die Straßen verlassen daliegen. Richtung Felbertauern schlage ich ein, da hoch fährt mein Herz, es fährt voraus und sagt: „Großglockner statt Großstadt“.
Eine andere Welt
Sehr oft bin ich die Einzige, die diese Ausfahrt nimmt. Jede Kehre kenne ich und mit jeder Kehre werden sie leiser. Die Motoren und das Hupen, das Tramgebimmel und Stimmengewirr, die Akkordeonklänge an der Brücke, Sirenen, das Bassgewummer aus den Autos. Sogar die Nachrichten. Sogar laute Gedanken. Und manchmal – zwischen Nord- und Südportal – lasse ich Regen, Schnee oder Graupel hinter mir und fahre in die Sonne. Und umgekehrt. Wie in eine andere Welt. Es ist eine andere Welt, hier am Großglockner. Sie ist ein bisschen einfacher. Und ein bisschen komplizierter. Nehmen wir die einfache.
Tanz auf der Isel
Osttirol ist ein so großzügiger Gastgeber. Unter den schroffen, engen Felswänden wachsen üppige Wiesen mit saftig-gelben Butterblumen, mit Mohn und Disteln und Schwammerln und Himbeeren und Granten am Wegrand. Entlang der Wanderwege und Steige tosen Wasserfälle und gurgeln Gebirgsbäche. Manchmal, nur manchmal, kommt einem da einer entgegen. Gletscherblau rauscht und wirbelt die Isel durch den Talboden, im Sommer tanzen bunte schlanke Kajaks und dicke Raftingboote darauf. Ich könnte einen Roman über die Wunder schreiben, die Lienz und seine Seitentäler für seine Besucher bereithalten. Doch es ist so viel mehr.
Den Menschen ein Zuhause
Selbst während der Wochen, in denen die Hotels scheinbar schlafen, die Gondeln und Sesselbahnen träge an den Seilen hängen, die Straßen leerer sind als sonst – sie sind es nie ganz. Weil auch Industrie und Handwerk hier den Menschen ein Zuhause geben, lebt die Region am Großglockner. Immer. Man kennt sich auf dem Wochenmarkt, man trinkt und jausnet zusammen, besucht diese Freundin und jenen Bekannten. In den Werkshallen kreischen die Maschinen, aus den Schloten dampft’s. Nicht lang und die Pistenraupen fahren wieder, die Hotelfassaden kleiden sich in funkelnde Lichter, die Skihütten werden warm. Es ist eine andere Art von Lautsein. Die Art, die Raum lässt. Für Gedanken, für Ideen. Zum Runterkommen.
Wieder ganz werden
Anders als die Motoren und Sirenen, flackernde Leuchtreklamen und von überall einströmende Nachrichten. Es ist, als würden der Großglockner und all die unzähligen Berge und Bergketten drumherum das Leben ganz machen. Weil alles dazugehört. In diesem Moment, in dem ich das schreibe, die morgendliche Blaue Stunde, die die schneebedeckten Gipfel gegenüber meines Stubenfenstern schemenhaft freigibt. Weil ich diese Gedanken mithilfe von Glasfaser für jeden sichtbar machen kann und dafür keine Großstadt brauche. Weil hier Sommer Sommer sind und Winter Winter. Weil ich hier alles habe, weil ich weiß, woher das Fleisch kommt, ich den Bauern kenne, dessen Hühner meine Eier legen, den Imker, der meinen Honig schleudert.
Und dann zwischendurch, so wie die Münchner und Wiener, die Dortmunder und Welser, die Hamburger und Bregenzer, die Zürcher, die einfach mal raus wollen und hierherkommen um zu genießen, ja, fast a bissl, um auch wieder ganz zu werden, so fahre ich dann wieder nach Salzburg, vielleicht sogar nach München, Lissabon, Wien oder Paris. Ich atme Benzin, lausche Hupen, Vespa-Geknatter und Tramgebimmel – und liebe es. Für diese Zeit. Und dann tausche ich wieder. Die Großstadt gegen den Großglockner. Und nichts fühlt sich besser an. Hier ist alles ganz.
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